Der Prinz aus Uruguay - Zum 50. Geburtstag von Enzo 11FREUNDE

November 2024 · 7 minute read

Es läuft bereits die Nach­spiel­zeit an diesem 8. Februar 1986. Der große Tra­di­ti­ons­verein River Plate tut sich schwer gegen die Gäste aus Europa. Da landet der Ball auf der Brust des Spie­lers mit der Nummer neun. Der lässt den Ball kurz abtropfen und zim­mert ihn mit einem wuch­tigen Fall­rück­zieher von der Straf­raum­grenze in die Maschen. Der Schütze jubelt, als bedeute dieses Tor den Gewinn des Welt­po­kals. Enzo Fran­ces­coli hat gerade den ver­mut­lich schönsten Treffer seiner Kar­riere erzielt – und den wohl unbe­deu­tendsten. Ohne dieses spek­ta­ku­läre Tor würde sich heute sicher nie­mand an das Spiel zwi­schen River Plate Buenos Aires und der pol­ni­schen Natio­nalelf erin­nern. Dass Fran­ces­coli auch in Freund­schafts­spielen bis zur letzten Minute alles für seinen Verein gab und selbst unwich­tige Tore so lei­den­schaft­liche fei­erte, machte ihn zum Idol bei den Fans des dahin sie­chenden Tra­di­ti­ons­klubs.

Denn um Kult­status zu erlangen, bedarf es beim dem Verein aus Buenos Aires mehr als nur über­durch­schnitt­li­ches Talent – erst Recht, wenn man von der anderen Seite des La-Plata-Flusses kommt. Enzo Fran­ces­coli Uri­arte wurde am 12. November 1961 in der uru­gu­ay­ischen Lan­des­haupt­stadt Mon­te­video geboren. Das Fuß­ball spielen erlernte er auf der Straße und sorgte bereits in der Schul­mann­schaft für Auf­sehen. Als Enzo eines Tages krank dem Unter­richt fern­bleiben musste, beru­higte der Lehrer die ver­le­genen Eltern, dass dies über­haupt kein Pro­blem wäre. Viel wich­tiger sei es näm­lich, dass er am Wochen­ende zum ent­schei­denden Spiel der Schul­aus­wahl wieder fit sei.

Zu klein und zu schmächtig

Vo seinem Vater hatte Enzo die Lei­den­schaft für den popu­lären Klub Peñarol geerbt. Doch dort schickten sie ihn genauso wie bei River Plate Mon­te­video nach einem Pro­be­trai­ning fort. Zu klein, zu schmächtig sei der Knirps, hieß es. Erst der kleine Klub Mon­te­video Wan­de­rers nahm Fran­ces­coli in die Jugend­mann­schaft auf, nachdem ein dort kickender Schul­freund Enzo dem Trainer emp­fohlen hatte. Dieser zeigte sich angetan von seinem neuen Schütz­ling, der ihm die Arbeit erheb­lich erleich­terte, da er viel­seitig ein­setzbar und kaum vom Ball zu trennen war. Wie ein Mit­spieler erzählt, ver­liefen die Tak­tik­be­spre­chungen fortan ziem­lich simpel: Ihr erobert den Ball und passt ihn dann zu Enzo. Das ist alles.“

Schon bald ging auch in Argen­ti­nien die Kunde um, dass bei einem kleinen Klub in Mon­te­vieo ein Aus­nah­me­ta­lent Auf­sehen erregte. Mit 21 Jahren wech­selt Fran­ces­coli 1982 zu River Plate Buenos Aires. Der popu­läre Verein befindet sich in einer Krise und sucht hän­de­rin­gend nach einer Blut­auf­fri­schung, mit der den Ansprü­chen des Klub genüge getan werden kann. Die Erwar­tungen an den jungen Uru­gu­ayer sind dem­entspre­chend groß. Doch dieser wie­gelt ab: Ich glaube, dass ich mit meinem Stil gut zu River passe. Ich habe vor der Auf­gabe keine Angst, aber es gibt hier viele gute Spieler. Ich bin nicht der Retter.“

Er sollte Recht behalten – zunächst. Denn die Anfangs­zeit bei River ver­läuft für Fran­ces­coli alles andere als leicht. Nur wenige Wochen nach seinem Debüt lösen finan­zi­elle Pro­bleme einen Streik der Spieler aus. Auch wenn dieser bald beendet werden kann, ist das Ver­hältnis zwi­schen Fans und Kickern in der Folge ver­giftet. Die Anhänger beschimpfen und ver­höhnen die Spieler als Abzo­cker. Als Fran­ces­coli nach einer Aus­wechs­lung vom Trainer mit einem Tritt in den Aller­wer­testen vom Platz geholt wird, spenden die Zuschauer Applaus, beschimpfen den Uru­gu­ayer gar als Land­strei­cher und Dieb. River beendet die Meis­ter­schaft als Vor­letzter. Fran­ces­coli plagt das Heimweh.

Abschie­bung nach Kolum­bien

Als für die neue Saison sein Lands­mann Luis Alberto Cubilla, seines Zei­chen eben­falls Idol des Ver­eins, als Trainer enga­giert wird, scheint Fran­ces­colis Zeit bei River bereits beendet. In den Pla­nungen Cubillas spielt er keine Rolle. Doch als man ihn nach Kolum­bien abschieben will, wei­gert sich Fran­ces­coli. Ich kam zu River, um hier zu tri­um­phieren und ich bin sicher, das werde ich. Das ist eine Sache der Ehre.“ Ohne ein Wort über das ange­spannte Ver­hältnis zum Trainer zu ver­lieren, spielt er auch auf unge­liebten Posi­tionen.

Doch der Durch­bruch gelingt erst unter Hector Rodolfo Veira, der ihn als Stürmer ein­setzt. Fran­ces­coli ver­zückt in der Fol­ge­zeit die Anhänger mit seiner ele­ganten Spiel­weise und auch, weil er wich­tige Tore schießt. Etwa beim beim 3:0 Sieg gegen Velez Sars­field im März 1986 mit dem River sich die Meis­ter­schaft fünf Spiel­tage vor Schluss sichert. Da feieren sie ihn schon längst als ihren Prinzen – el prin­cipe“. Den Namen gibt ihn sein Lands­mann, der Reporter Víctor Hugo Morales. Damals hatte ich einen Ohr­wurm vom Tango Prín­cipe. Fran­ces­coli machte ein Tor, und ich habe spontan eine Zeile des Textes wie­der­holt: Prín­cipe soy, tengo un amor y es el gol‘ (Ich bin ein Prinz und meine große Liebe ist das Tor). Der Spitz­name passte per­fekt zu diesem melan­cho­lisch und traurig wir­kenden Mann, der sich wirk­lich etwas bewegte wie ein Prinz“, erklärt der Jour­na­list.

Wie alle, die in Süd­ame­rika den Durch­bruch schaffen, wech­selt auch der Prinz 1986 nach Europa. Seine erste Sta­tion, Racing Club Paris, sieht er als Sprung­brett nach Ita­lien, dem Land seiner Groß­el­tern. Doch der Ver­eins­prä­si­dent Jean-Luc Lag­ar­dère, der ein Sta­ren­emsle auf­bauen will, lässt ihn nicht ziehen, obwohl der sen­sible Uru­gu­ayer unglück­lich ist. Drei Jahre muss Fran­ces­coli bleiben. Er ver­misst seine Heimat, die Lei­den­schaft der Fans und das Spielen vor vollen Rängen, denn bei Racing kommen meist nicht mehr als 5000 Zuschauer zu den Spielen. Ich kann den Fuß­ball nicht ein­fach als Arbeit ansehen und mich mit meinem großen Gehalt und dem Mer­cesdes Benz zufrieden geben. Ich brauche das Gefühl, dass der Fuß­ball etwas Wich­tiges für die Fans ist. Aber hier ver­lierst du 0:3 und nie­mand regt sich dar­über auf.“, äußert sich der unzu­frie­dene Prinz in argen­ti­ni­schen Medien.

Den­noch kann er sich in den Vor­der­grund spielen, wird von den Spie­lern zum wert­vollsten Aus­länder der Liga gewählt. Ein Junge namens Zine­dine Zidane ist schon damals einer seiner größten Bewun­derer. Jahre später tau­schen die Beiden die Tri­kots. Zidane soll von dem Leib­chen im Trai­nings­lager bei der WM 1998 kaum zu trennen gewesen sein und gibt einem seiner Söhne den Namen Enzo – als Hom­mage an sein Idol.

Zidane ist sein größter Ver­ehrer

Der Sprung nach Ita­lien gelingt Fran­ces­coli schließ­lich über den Umweg Olym­pique Mar­seille. Aller­dings spielt er in der Serie A nur bei den unbe­deu­tenden Ver­einen Cagliari Calcio und FC Turin. Bei beiden Klubs erobert er mit seiner ele­ganten und zugleich ener­gi­schen Spiel­weise schnell die Herzen der Fans. Der Sprung zu den großen Klubs bleibt ihm jedoch ver­wehrt, ein Grund warum sein Name in Europa weniger bekannt ist als die anderer Spieler aus Süd­ame­rika.

1994 kehrt Fran­ces­coli wieder zu River Plate zurück, so wie er es den Fans vor seinem Weg­gang ver­spro­chen hatte. Noch vier Jahre spielt der Prinz für River und gewinnt alles, was es auf dem Kon­ti­nent zu holen gab. Mit der Natio­nal­mann­schaft Uru­guays nimmt er an zwei WM-End­runden teil, gewinnt drei Mal die Copa Ame­rica. Den­noch erlangt er in seiner Heimat lange Zeit nicht den­selben Kult­status wie in Argen­ti­nien. Das ändert sich erst, als Fran­ces­coli im Copa-Ame­rica-Finale 1995 gegen Bra­si­lien im erfolg­rei­chen Elf­me­ter­schießen sicher ver­wan­delt, obwohl er sich in den letzten Spie­mi­nuten den Arm ver­renkt hatte und die Partie nur unter großen Schmerzen been­dete. Es war der letzte Titel­ge­winn der Him­mel­blauen“ für die nächsten 16 Jahre. Er in diesem Jahren holten Forlan und Co. die Copa wieder nach Uru­guay.

Als Fran­ces­coli sein Abschied von der Fuß­ball­bühne nimmt, trauern nicht nur die Fans von River Plate um den Ver­lust eines Idols. Der Prinz“ war einer der wenigen Spieler, der es in Argen­ti­nien schaffte, von den Fans aller Klubs zugleich respek­tiert und gemocht zu werden, da er trotz seines Status als Star stets bescheiden und umgäng­lich blieb.

Nach seinem Kar­rie­re­ende gründet Fran­ces­coli zusammen mit seinem Freund und ehe­ma­ligen Manager Paco Casal in Miami den bilin­gualen Fuss­ball­sender GolTV, für den er noch immer als Vize­prä­si­dent tätig ist. Danach befragt, ob er nicht gern als Trainer zum Fuß­ball zurück­kehren würde, ant­wortet das heu­tige Geburts­tags­kind: Tat­säch­lich ist mir im Moment über­haupt nicht danach. Ich bin mit einer anderen Art von Arbeit beschäf­tigt und habe keine Zeit, mich darauf vor­zu­be­reiten. Wenn ich das einmal tun würde, dann bei River Plate oder der uru­gu­ay­ischen Natio­nal­mann­schaft, den beiden großen Lieben meines Lebens.“

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